Wie Ihr ja alle wisst, träume ich gerne – insbesondere die Tagträume habe es mir angetan. Und irgendwann wird so ein Traum dann auch mal verwirklicht. Anbei das Tagebuches meines Traums von der Masai Mara. Da ich dieses Mal in erster Linie gefilmt habe, sind die Bilder nicht so gut. Ich hoffe aber, dass sie Euch einen Eindruck geben von dem, was ich so alles vor mich hin träume.
Viel Spaß beim Lesen und wer 2012 mit will, wenn ich diesen Traum verwirkliche, der kann sich ja melden. Reisezeit wird zwischen Mitte Juli und Ende Juli sein, damit wir das Crossing – was das ist, steht im Traumtagebuch – erleben können. Zum Fotoalbum geht’s hier.
Gerd
Ich habe einen Traum – einen regelmäßig wiederkehrenden Traum: Ich träume ihn, seit ich Anfang der 60er-Jahre diesen tollen Film gesehen habe. Den Film von wilden Tieren, von tollen Landschaften und herrlichen Weiden in der Grassavanne. Ja, ich meine Hatari. Dieser Traum macht mich noch wahnsinnig und ich muss ihn endlich einmal aufschreiben. Also kaufe ich mir in einem Schreibwarengeschäft in Nairobi für fünf Kenia-Schillinge ein Schulheft und beginne, diesen Traum festzuhalten. Jeden Tag ein Sück, denn an jedem Tag erlebe ich eine Fortsetzung – eine Woche lang fast jeden Tag.
Dritter Traumtag, 23. Juli 2010:
Morgens treffe ich mich mit Jeremy und Boniface im Hotel an der Rezeption. Mit dem Landcruiser in der Extralang-Version fahren wir zum Einkaufen auf den Markt in den Westlands. Das ist ein Markt – enge Gänge, maximal ein bis anderthalb Meter breit, fast genau so kleine Marktstände. Hier kann man fast alles kaufen oder machen lassen, vom Schuster über den Fleischer, vom Schlüsselmacher bis zum Gemüsebauern sind hier alle vertreten. Wir kaufen Obst, Gemüse, Gewürze – besonders viel Knobi, Kartoffeln, Hühnerfleisch und Eier. Boniface muss noch schnell in die Apotheke, denn er ist erkältet, hat starke Halsschmerzen und hustet und krächzt. Und dann noch einmal kontrollieren, ob alles da ist – Zelte, Schlafsack etc und dann fahren wir endlich los. Über katastrophal schlechte Straßen geht es in südwestlicher Richtung raus aus der Stadt. Sehr schnell wird es typisch afrikanisch, schon die Vororte lassen kaum noch erkennen, dass diese Stadt einmal von Europäern gebaut wurde. Entlang der Straße überall Dörfer und Siedlungen, wie man sie aus jedem Afrikafilm kennt. Ein Geschäft(chen) neben dem anderen, Bars, Hotels, Werkstätten, dahinter die Wohnhäuser, besser gesagt Steinhütten. Alles sieht nicht wirklich gepflegt aus, fast könnte man schon sagen schmutzig. Und ein Gewusel von Menschen. In Jeans, Arbeitskleidung oder in der typischen Tracht der Einheimischen – die Männer in meist roten oder überwiegend roten Umhängen, Stock in der Hand, Jesuslatschen oder sogar barfuß, die Frauen in farbenprächtigen Röcken und Kleidern. Viele Frauen mit schweren Lasten auf dem Kopf. Afrika eben. Fast vor und nach jedem Ort Polizeikontrollposten, die sich nach einem mir nicht erkennbaren System einzelne Autos rauspicken. Einige Male liegen quer über die Straße Nagelsperren – damit wird jeder Versuch, einfach durchzufahren, sinnlos. Auch Jeremy und sein Fahrzeug werden zweimal kontrolliert – Führerschein, die verschiedenen Lizenzen, die an der Windschutzscheibe festgeklebt sind. Aber es gibt nichts zu beanstanden und wir können ungehindert weiterfahren.
Nach ca. 1 Stunde erreichen wir das Great Rift Valley – der große afrikanische Graben, der sich über 8.000 km von Nord nach Süd zieht. Auch unser Ziel, der Masai Mara Nationalpark, liegt in diesem Graben. Schade, dass das Wetter so trüb ist, denn wir haben aus über 2.100 m Höhe einen tollen Ausblick.
Von jetzt an ist die Besiedlung etwas weniger dicht, (Getreide-)Felder rechts und links der Straße, Bäume, Sträuche . Überrascht bin ich von den Rieseneuphorbien, die baumgroß hier wachsen. Und wunderschöne Schirmakazien, aber nicht vereinzelt, nein, dicht an dicht – fast schon als Wald zu bezeichnen.
Nach fast zwei Stunden erreichen wir Narok, eine typisch afrikanische Stadt. Bei einer kurzen Rast steigt Edward zu. Edward ist unser Guide für die nächsten Tage, klärt Jeremy mich auf, denn er ist aus Talek, einem Masai-Dorf direkt am Parkeingang.
Jetzt habe ich für meinen Trip schon drei Leute, die mich umsorgen wollen – Jeremy, der Mitinhaber von Terra Tours als Reiseleiter und Fahrer, Boniface, mein Leibkoch und Edward, mein Guide. Und ich ganz alleine – Mann, damit habe ich nicht gerechnet. Nicht lange, nachdem wir Narok verlassen haben, müssen wir von der Asphaltstraße runter und ab jetzt wird es abenteuerlich. Tiefer Sand, Lehm, Gräben, Schlaglöcher, Wellblech – alles was des (Offroad-)Autofahrers Herz begehrt – und das auf einer offiziellen Straße. Gut, dass Gerlinde nicht dabei ist. Für sie wäre der Traum an dieser Straße zu Ende gewesen.
Die Gegend wird immer einsamer, große, abgegraste Weideflächen, Euphorbien in Mengen. Masaihirten mit riesigen Rinder- und Ziegenherden, Masai-Frauen mit großen Brennholzbündeln oder Wasserkanistern auf dem Kopf, dazu eine tolle Hügellandschaft und in der Ferne die Berge. Und dann die ersten Gnus – ein Herde von bestimmt zwei- bis dreihundert Tieren, kurze Zeit später fünfzehn Giraffen, die das Laub der Büsche und Schirmakazien aesen. Ja – das erinnert mich schon sehr stark an Hatari, obwohl noch lange nicht in der Mara sind. Um 14.00 Uhr erreichen wir bei Talek am Tor zum Nationalpark den Crocodile Camping Ground, direkt am Fluss Talek gelegen. Ordentliche Anlage mit schönen Plätzen, 4 Plumpsklos, 4 Duschen, zwei großen Küchengebäuden. Manche der Zeltplätze am Fluss bieten eine tolle Aussicht auf eine große Wiese, auf der sich Gnus und Topis tummeln.
Einen Strauß sehe ich auch. Für das Ausladen des Wagens und den Aufbau unserer Zelte brauchen wir keine dreißig Minuten und dann starten Jeremy, Edward und ich zu unserer ersten Pirschtour. Die Landschaft ist wirklich wie im Film – Grassavanne mit kniehohem Gras, ganz selten mal ein Baum dazwischen, hügeliges Gelände, kleinere und größere Täler von meist ausgetrockneten Bächen und Flüsschen, an deren Ufern dichter Busch- und Baumbewuchs herrscht. Alles ist grün. Thomsonund Grand Gazellen (sehen fast wie Springböcke aus – nur das Gehörn unterscheidet sich stark von dem der Springböcke), Topis, Giraffen in den Tälern, Warzenschweine, Elefanten, kleine Gruppen von Gnus und Zebras, Eland, Wasserböcke, Hippos, Schakale. Unglaublich viele Tiere. Edward will immer Löwen suchen. Er kann mein Desinteresse gar nicht verstehen. Warum will ich bloß nur immer Gnus (Wilde Beest) sehen? Ein toller erster Eindruck von diesem Park.
Vierter Traumtag, 24. Juli 2010:
Seit fünf Uhr morgens bin ich wach. Es ist zwar noch dunkel, nur der (fast) volle Mond (und meine Taschenlampe) geben mir etwas Licht beim Rasieren. Ich bin hellwach und will endlich los, los zu den riesigen Gnuherden, von denen ich heute Nacht schon wieder geträumt habe. Um 7.00 Uhr geht es nach einem leckeren Frühstück endlich los.
Edward will mir aber erst noch Löwen zeigen, denn für die Gnus haben wir ja noch den ganzen Tag Zeit – sagt er und versteht wieder nicht, dass mich diese Tiere – zumindest im Moment – viel mehr als Löwen interessieren. Und wenn wir die Löwen gefunden haben, will er mir noch Cheetahs zeigen. Und dann, ja dann will er zu den Gnus. Aber nicht am Mara, sondern am Talek. Denn auch durch diesen Fluss müssen sie zum Teil wenigstens durch auf ihrer ewigen Kreiswanderung. Schon kurz nach der Einfahrt sehen wir wieder kleinere Gruppen von Gnus und Zebras, Topiherden, Thomson Gazellen.
Dann die erste größere Gnu-Gruppe etwas weiter entfernt. Wie an einer Schnur gezogen laufen sie hintereinander her. „Die sind auf dem Weg zum Fluss“, erklärt Edward, „die werden wir vielleicht heute Nachmittag beim Crossing wiedersehen.“ Dann endlich, endlich sehen wir nach dreißig Minuten die „versprochenen“ Löwen. Und weil es früh am Morgen ist, liegen die nicht nur faul rum, sondern sie laufen und bewegen sich sogar. Ein paar schöne Videoaufnahmen, aber dann dränge ich zur Weiterfahrt. Ich will zum Fluss – Gnus sehen. Wir fahren also wieder zum Eingang zurück zum Talek-Fluss, wo wir gestern auch waren. Und dann habe ich das erste Aha-Erlebnis: Ein Gepard hat gerade eine Thomson-Gazelle gerissen und liegt jetzt höchstens fünf Meter von der Fahrspur entfernt im Gras. Wow – das lässt selbst mich die Gnus vergessen! In gehörigem Abstand, aber ungeduldig stehen schon mindestens 20 Geier um ihn herum, warten, dass er endlich etwas abgibt von dem leckeren Mahl. Ein Schakal nähert sich (fast) respektlos. Aber nicht mehr lange, denn dem Geparden gefällt diese (verfressene) Gesellschaft nicht und er lässt seine Gazelle los und vertreibt seine neugierigen Gäste erst einmal. Danach zurück zur Gazelle, weiter fressen …, aber nicht lange, dann hüpfen sie schon wieder ran, näher, näher und der arme Kerl muss schon wieder sein Frühstück unterbrechen, um all die gierigen Schnäbel und Mäuler zu vertreiben. So geht das Minute um Minute. Inzwischen kommen auch andere Fahrzeuge und zuletzt – als wir den Platz verlassen, stehen nicht nur eine Menge Geier und Schakale, sondern auch fünf Autos um ihn und lassen ihn einfach nicht in Ruhe frühstücken. Wir fahren weiter, weiter durch die wunderschöne hügelige Landschaft und wie gestern schon sehen wir wieder Elefanten, Topis, Kuhantilopen (Harte Beest), Hippos, ein, zwei Strauße und natürlich Gnus und Zebras. Insgesamt gegenüber gestern schon viel mehr Tiere, größere Herden und nicht nur vereinzelte Tiere und Kleingruppen. Nach knapp drei Stunden nähern wir uns dem Marafluss. Das merke ich aber schon lange, bevor wir überhaupt in Flussnähe kommen. Immer mehr Gnuherden ziehen in langen Linien immer nur in eine Richtung – den Hügel runter zu dem Buschland, hinter dem der Mara fließt. Weit, weit reicht der Blick über die unendliche Grassavanne und überall Gnus. Ich will es noch nicht glauben, aber es ist wahr – Gnus, Gnus, Gnus.
Ja, das ist es, was ich sehen will, weswegen ich hier bin – dieses tolle hohe Gras und darin überall Gnus. Tausende und Abertausende grasen rechts und links und fressen sich nach ihrem langen Marsch aus der Serengeti erst mal richtig satt, ehe es weiter geht – weiter an den Marafluss, auf dessen anderer Seite die ersehnten Weiden auf sie warten. Je näher wir an den Fluss kommen, umso mehr Tiere sehen wir, die aufgereiht in langen Linien an die Ufer streben und als wir dann das Ufer erreicht haben, kriege ich vor Staunen den Mund nicht mehr zu. Hunderte und Aberhunderte von Tieren drängeln sich vor dem Ufer, unter den Büschen und auf der Wiese und es kommen immer mehr und mehr. Und wo man hinblickt – Geier, Geier am Boden, auf den Steinen im Wasser, am Ufer und in der Luft. Dazu noch Marabus. Im Wasser Krokodile, etwas weiter hinten im Pool und am Ufer Hippos. Wir parken unseren Wagen – noch sind keine anderen da – und beobachten gespannt, wie es weitergeht. Und nach einer Stunde sind es nicht mehr Hunderte, sondern Tausende von Tieren, die jetzt hier vor dem Ufer warten. Aber sie trauen sich nicht weiter, weiter über die breite Sandbank zum Wasser. Keiner will den Anfang machen, denn irgendwie wissen sie von der Gefahr, die dort auf sie lauert. Nicht nur Strömung und Steilufer, das fast unüberwindlich auf der anderen Seite wartet, sondern vor allen Dingen die riesigen Krokodile, die auf sie lauern, schrecken sie ab. Aber der Druck von hinten wird immer stärker. Das erste Tier geht ein, zwei Meter vor. Noch ein Meter und noch ein Meter – jetzt ist das Wasser erreicht. Wie geht es weiter? Es säuft, es stellt sich ganz einfach hin, macht den Kopf runter und säuft. Und dann säuft das nächste Tier, das nächste, das nächste. Das erste Tier macht jetzt einen Schritt ins Wasser. Gespannt sitze ich da. Aber irgendetwas scheint nicht zu stimmen. Plötzlich zuckt das Tier zusammen, dreht sich um und rast aus dem Wasser. Und alle, alle anderen Tiere drehen sich um und rasen ebenfalls davon. Aber nach wenigen Metern stoppen sie ab, bleiben stehen, sehen sich um und warten. Zehn Minuten sind vergangen. Wieder geht eines der vorderen Tiere vorsichtig zum Wasser. Noch vorsichtiger folgen die anderen nach. Das erste beginnt zu saufen, das nächste macht es nach und schon ist es wie vorhin – die vorderen Tiere trinken und die hinteren drängen nach. Ein Schritt ins Wasser und noch einer und noch einer und noch einer. Ob sie jetzt losgehen? Aber da erschrickt schon wieder einer, dreht sich um und jagt davon. Wieder Panik und alle folgen. Aber auch dieses Mal beruhigen sie sich schnell und das ganze Spiel beginnt von vorne. Dritter Anlauf. Langsam geht das erste Tier ans Wasser … (siehe oben). Aber dieses Mal geht keines so weit ins Wasser wie eben. Nein, sie saufen, drehen sich um, gehen davon, die nächsten saufen, drehen sich um, gehen davon und so weiter. Und auf einmal befinden sich alle Tiere auf dem Rückmarsch vom Ufer weg. Und nach ein paar Minuten sind sie alle wieder in der Grassavanne und aesen. Edward meint, dass sie in ein, zwei Stunden vielleicht wiederkommen werden und so fahren wir zu der nächsten Stelle, wo der Mara von den Gnus während ihrer Wanderung durchquert wird. Die ist Luftlinie höchstens einen bis anderthalb Kilometer weg.
Auch dort sitzen überall Geier und Marabus – Geier auf den Bäumen, den Steinen im Wasser, am Ufer in der Luft und auf den toten Gnukörpern, die da zu Hauf im Wasser und am Ufer liegen. Viel mehr als an der ersten Stelle – Gnus, die von den Krokodilen geschnappt, von der eigenen Herde in Panik tot getrampelt wurden oder beim Versuch, das Steilufer zu erklimmen, zurückgefallen und mit gebrochenen Knochen liegen geblieben sind. Und jetzt sind sie mehr als nur eine billige Mahlzeit für die Geier, Marabus und anderen Aasfresser. Laut Edward ist diese Stelle einer der Hauptübergänge von den insgesamt sieben Übergängen, die es am Mara gibt. Wir suchen uns einen freien Platz zwischen den rund zehn Autos, die schon hier stehen und auf dieses 7. Weltwunder, wie die Kenianer selbst sagen, warten. Auch hier stehen Tausende von Gnus und Zebras, die auf die andere Seite wollen, aber auch hier traut sich kein einziges Tier den Anfang zu machen. Jeder wartet auf den Anderen und wenn sich ein Tier doch mal weiter ans Wasser wagt, da wittert es nach allen Seiten, säuft ganz vorsichtig und dann dreht es sich um und läuft zurück. Tja und dann drehen sie alle ab und laufen zurück in die Savanne. Heute ist wohl kein Crossing angesagt. Allmählich fährt ein Auto nach dem anderen von hier weg und bald stehen wir wieder alleine am Ufer und warten und warten und warten. Irgendwann schaue ich mal wieder aufs andere Ufer und fast genau gegenüber der Stelle, wo wir zuerst waren, ist auf einmal alles schwarz von Gnus. Ja, schwarz von Gnus, die inzwischen dort den Übergang geschafft haben und sich jetzt auf der anderen Seite ausruhen. Kurzes Beratschlagen mit Edward und dann „düsen“ wir zurück. Als wir dort ankommen, sehen wir gerade noch die letzten fünfzig, hundert Tiere auf der Jagd ans andere Ufer. Der Haupttrupp – etwa drei- bis fünftausend Tiere – hat das rettende Ufer schon längst erklommen. Nur an zwei besonders steilen Stellen bemühen sich noch einige Tiere verzweifelt, nach oben zu klettern. Immer wieder rutschen sie ab, fallen zurück ins Wasser oder auf einen kleinen Vorsprung, ruhen sich kurz aus und versuchen es dann erneut. Drei, vier oder fünf Tiere liegen am Boden und sind zu schwach zum Aufstehen oder verletzt. So traurig, wie es ist, aber diese Tiere werden hier wahrscheinlich verenden und dann eine Beute der Krokodile und Geier.
Etwas weiter links hat sich eine Mutter mit ihrem Kalb auf einen kleinen Vorsprung ganz knapp über dem Wasserrand gerettet. Total erschöpft stehen sie dann da und wissen nicht weiter. Denn hoch klettern können sie an dieser Stelle nicht. Das ist viel zu steil und bis nach oben gibt es auch keinen einzigen kleinen Halt, an dem sie sich hochrangeln könnten. Also müssen sie irgendwann zurück ins Wasser, um es an einer anderen Stelle zu versuchen. Aber so weit kommt es gar nicht. Ein Krokodil hat die Beiden schon entdeckt und „schleicht“ langsam und fast ohne Bugwelle auf sie zu. Untertauchen, ein paar Meter schwimmen, gucken, dann wieder untertauchen, ein paar Meter schwimmen, gucken und dann kommen die letzten Meter. Zum letzten Mal taucht das Krokodil ab und ein paar Sekündchen später schießt es genau vor dem Kalb aus dem Wasser, schnappt es am hinteren Oberschenkel und zieht es ins Wasser.
Verzweifelt kämpft das Kalb um sein Leben, aber es scheint nichts zu nutzen – das Krok ist viel zu stark und zieht es immer weiter in die Flussmitte. Dann ist alles vorbei. Das Krokodil liegt offensichtlich auf dem Grund und hält das Kalb fest, denn es bewegt sich überhaupt nicht mehr. Nur sein Kopf ist noch zu sehen. Das war es dann wohl, denke ich, schalte die Kamera ab und schaue, was die Mutter so macht. Die ist zurück ins Wasser gesprungen und kämpft sich zurück an das Ufer, von dem sie los gegangen war. Auch andere Tiere, die noch immer einen Ausweg aus dem Wasser suchen, sehen das wohl als ihre letzte Chance. Sie drehen ebenfalls um und haben nur noch eins im Sinn: Zurück, zurück, zurück. Langsam ist überall „Ruhe“ eingekehrt. Am Ufer schlafen die Krokodile, ein paar Geier haben sich auf ein Gnu gestürzt, das es nicht geschafft hat und ansonsten sitzen die anderen Geier wie vorher überall herum. Ab und zu schaue ich noch mal nach dem Kalb, aber es bewegt sich nicht mehr. Das Krokodil schwimmt quasi schrittweise mit ihm ans andere Ufer. Zwei Meter schwimmen, warten und ausruhen und dann wieder zwei Meter schwimmen. Nur der Kopf des Kalbs ist zu sehen. Kurz vor der Sandbank am diesseitigen Ufer verweilt es wieder. Aber was ist das? Auf einmal bäumt sich das Kalb zwei-, dreimal mächtig auf. Dann ist wieder Ruhe. Zuerst denke ich, dass das Krokodil seine Beute aus dem Wasser gehoben hat, wie ich das schon einmal bei einem toten Gnu beobachtet habe. Aber falsch. Das Kalb beginnt noch einmal zu kämpfen und strampelt wie wild – auf, nieder, auf, nieder. Dann wieder Ruhe. Das war bestimmt das letzte Aufbäumen, denke ich. Aber wieder falsch – nach fast zehn Ruheminuten macht das Kalb noch einmal einen letzten verzweifelten Versuch und strampelt und strampelt und strampelt und plötzlich macht es einen Sprung und noch einen und steht am rettenden Ufer. Unglaublich – es kann nach einer sehr kurzen Verschnaufpause sogar weiterlaufen als wenn nichts geschehen wäre. Kein Humpeln oder ähnliches – es läuft schnurstracks in die Büsche, genau dahin, wo auch vor längerer Zeit seine Mutter verschwunden ist. Tierdrama mit Happy End – das ist doch wohl ein schöner Abschluss dieses Tages und so treten wir die Rückreise zum Campingplatz an. Dort erwartet Boniface mich mit einem leckeren Filetsteak – aber vom Rind, nicht vom Gnu.
Fünfter Traumtag, 25. Juli 2010:
Heute wollen wir auf direktem Weg zum Crossing – ohne vorher auf die Suche nach Löwen oder anderen Katzen zu gehen. Natürlich heißt das nicht, dass wir andere seltene Tiere vernachlässigen werden. Und schon nach nur zwanzig Minuten Fahrt bittet Edward um einen kurzen Stopp, holt das Fernglas und sucht. Was hat der denn gesehen, denke ich. Weit und breit nichts als schönes, hohes Gras – Tiere? Fehlanzeige. Aber nicht für Edward. Er zeigt nach Norden, denn da sollen angeblich auf einem Stein drei Cheetahs liegen. Also beim besten Willen – ich und auch Jeremy können gar nichts erkennen. Weder einen Stein noch Cheetahs. Also nehme auch ich mein Glas.
Entweder ich bin blind oder ich suche an der falschen Stelle oder Edward zieht hier eine Schau für uns ab – ich sehe nichts, gar nichts. Edward dirigiert Jeremy, wie er zu fahren hat und nach ungefähr zwei bis drei Minuten sehe ich endlich auch etwas: Einen Fels, der über das Gras ragt und da drauf einige Unebenheiten. Noch einmal zwei Minuten und dann sehe ich sie auch. Tatsächlich, drei Geparden liegen da in der Sonne und lassen sich von uns filmen. Ganz ohne Scheu – so wie ich es eigentlich nur von den Geparden im Gehege bei Düsternbrock kenne. Nur hier gibt es keine Zäune, keine Fütterung die die Tiere anlockt und (noch) keine anderen Zuschauer. Aber die lassen dann auch nicht so lange auf sich warten. Zwei Autos kommen noch. Fast eine halbe Stunde beobachte ich das noch und dann fahren wir weiter. Nur ein paar Minuten später ist da wieder so ein Fels und auf diesem Fels liegen zwei Geparden und schlafen. Da schon ein anderes Auto dort steht und wir nicht stören wollen, fahren wir weiter. Edward erklärt uns danach, dass diese Gegend Cheetah- Land ist, weil es hier viele kleinere Gazellen gibt – vor allen Dingen die Thomson Gazellen. Hin und wieder können wir das andere Flussufer und dessen riesige Grasflächen sehen. Dort stehen viel mehr Gnus als gestern. Edward meint, dass diese Tiere in der Nacht über den Fluss gegangen sind. Dafür sind im Vergleich zu gestern viel weniger Gnus auf unserer Seite und es werden immer weniger, je mehr wir uns dem Crossing-Platz nähern. Es stehen auch noch keine Autos am Ufer – weder hier noch auf der anderen Seite. Nur ein paar hundert Meter noch zum Ufer, da entdecken wir zwei Löwenmütter mit ihren Babies im Gras. Aber es ist schon heiß, die Tiere voll gefressen und so liegen sie „nur“ faul in der Sonne und schlafen. Also fahren wir weiter, denn wir wollen heute ja einen „Logenplatz“ haben, wenn die Gnus kommen – ja, wenn sie kommen und nicht einen der anderen Übergänge wählen. Wer weiß das schon? So stehen wir dann da – beste Film- und Fotoposition und warten, warten, warten. Aber gar nicht so lange, denn dann kommen die ersten Zebras. Auf der anderen Seite – etwa vier- bis fünfhundert Meter entfernt beobachte ich mit dem Fernglas ein paar Löwen unter einem Baum.
Offensichtlich warten auch sie auf die Gnus, die ja irgendwann mal vorbei kommen müssen. Und das wird gar nicht mehr so lange dauern, denn inzwischen füllen sich der Platz vor dem Ufer, das Ufer selbst und der Buschwald ringsum immer mehr mit Tieren. Spannung liegt in der Luft – sowohl bei den Menschen – inzwischen sind schon wieder zehn Autos da – wie auch bei den Tieren. Unruhig laufen sie hin und her, scharren mit den Hufen, blöken oder wie das Geräusch auch immer zu beschreiben ist. Wenn ich das richtig einschätze, dann sind inzwischen ein paar Tausend Tiere da. Aber genau kann ich es nicht sagen, denn der Busch, die Tiere und die anderen Autos versperren mir die Sicht in die Savanne. Der Lautstärke nach würde ich sogar auf noch mehr tippen, aber ich weiß es nicht. Immer lauter, unruhiger und ungeduldiger werden die Gnus. Da ist ein Geschiebe von hinten, dem die Tiere vorne bestimmt nicht mehr lange Stand halten werden. Und so ist es auch. Eine Gruppe von vielleicht hundert Tieren kommt aus dem Busch und geht zum Ufer. Dann sehen sie die vielen Autos auf der anderen Seite, die teilweise so blöd geparkt sind, dass sie den „Ausgang“ versperren und rasen in wilder Hatz davon. Und alle Anderen jagen hinterher. Dicke Staubwolken wirbeln auf und in kürzester Zeit kann ich fast nichts mehr sehen – so dick ist die Luft. Als sich der Staub dann kurze Zeit danach wieder legt, sehe ich, dass sich die Tiere wieder beruhigt haben und schon wieder auf dem Weg zum Ufer sind. Das Warten beginnt von neuem. Wieder wollen die vorderen Tiere nicht weiter, aber wieder wird der Druck von hinten immer stärker und langsam, aber unaufhaltsam nähern sie sich der Sandbank am Ufer. Aber weiter geht es nicht – keiner will mal wieder den Anfang machen. Aber dann endlich traut sich das erste Tier ans Wasser. Ein Kalb hat Durst und geht ans Wasser und trinkt und dreht sich um und geht zurück. Das ermutigt aber einige andere Tiere und dann stehen zehn, zwanzig, hundert Gnus und Zebras da und stillen ihren Durst. Doch warum auch immer, ein Gnu erschrickt und aufgescheucht wie die Hühner rasen wieder alle in panischer Angst zurück bis die Sandbank wieder leer ist. Leer? Nein – drei Kroks liegen dick und fett da und lassen sich von der Sonne bescheinen, drei Marabus stehen direkt daneben und jetzt landen auch noch ein paar Geier und setzen/stellen sich dazu.
Wie schon vorhin beruhigen sich die Gnus und Zebras sehr schnell und schon wieder drängen die ersten zum Wasser. Aber immer noch nicht beginnen sie mit der Flussüberquerung. Noch dreimal fliehen sie wie vorhin und als sie wieder ans Wasser vorrücken, lasse ich die Kamera abgeschaltet, denn ich muss Batterie sparen. Aber was ist das denn? Ohne zu saufen, geht eine Mutter mit Kalb ins Wasser und dann folgt ihr noch ein Gnu und noch eins und noch eins. Mitten im Fluss fängt die Mutter dann an zu rennen und dann beginnt die wilde Jagd. Wie von allen guten Geistern verlassen rasen sie los und rennen, springen, laufen hinter der ersten Kuh her – blind vor Angst vor den Krokodilen schauen sie nur nach vorne und rennen und rennen und rennen. Doch plötzlich können sie nicht mehr weiter, denn die erste Kuh war wirklich blindlings losgerannt. Direkt auf das andere Ufer zu, genau dahin, wo das Ufer viel zu steil ist, als dass die Gnus dort den Fluss verlassen könnten. Auf halber Höhe ist da lediglich ein kleiner Vorsprung, auf dem nur ganz wenige Tier Platz finden können, mehr aber nicht. Und die Tiere drängeln nach oben und wer oben angekommen ist, wird von der nachdrängelnden Herde einfach wieder ins Wasser geschubst. Ein unvorstellbares Chaos. Das Wasser kocht und ein Ausweg ist nicht zu erkennen. Schon drehen die ersten Tiere wieder um und wollen zurück. Aber wie bei dem Gedrängel? Ich weiß nicht, ob es zwei-, drei- oder mehrere Tausend sind. Es ist kein Weiterkommen – weder nach vorne, noch nach hinten, nicht nach rechts, nicht nach links. Nur ganz am anderen Ufer gehen ein paar Tiere direkt am Ufer entlang und suchen, ob sie einen Ausstieg finden. Und über allem kreisen oben die Geier und kreisen und kreisen und kreisen. Sie werden ihre Beute heute bestimmt noch bekommen. Jetzt hat ein Gnu links einen „Ausstieg“ entdeckt. Aber der ist so eng, dass die Tiere dort nur einzeln hintereinander raus können. Aber dafür ist die Angst und die Panik viel zu groß. Wild drängen und drängen die anderen Gnus von hinten nach und schon liegen zwei, drei Kälber auf dem Boden. Aber das interessiert die Nachdrängler nicht. Sie wollen raus, raus, raus und trampeln einfach über die Kälber hinweg.
Auf unserer Seite gehen jetzt die ersten Zebras ins Wasser – die wollen ja auch rüber. Und die sind schlauer und wissen, wie sie es machen müssen. Bis zur Mitte des Mara den Gnus folgen, doch dann rechts einen großen Schlenker machen und genau da ist ein richtiger großer „Ausgang“ – eine vielleicht drei, vier Meter breite Schneise im Steilufer, eine Schneise, die ihnen und den Gnus jetzt das Leben rettet. Denn die sehen, was die Zebras machen und schon jagen sie durchs Wasser den Zebras hinterher. Auch die Tiere, die sich noch in dem wilden Durcheinander im Wasser befinden, merken eines nach dem anderen, dass es ja doch einen Ausweg gibt und folgen den anderen. Hohe Fontänen spritzen auf als die nun (fast) alle auf dem richtigen Weg wie ein Wirbelsturm durchs Wasser jagen – fünfzehn Minuten lang ohne Unterbrechung. Und am anderen Ufer gibt es kein Ausruhen, sie jagen weiter, immer weiter. Und dann ist plötzlich alles vorbei. Windstille sozusagen. Das Letzte der rund fünftausend Tiere ist oben angekommen. Außer den drei Totgetrampelten, auf denen schon die Geier sitzen und sich Flügel schlagend und kreischend um die Beute streiten, hat es keine weiteren Opfer gegeben. Die Krokodile, satt von den schon fast zwei Wochen anhaltenden „Festtagen“ liegen noch immer auf der Sandbank und dösen vor sich hin. Und dann geschieht etwas für mich Verwirrendes. Die Gnus auf der anderen Seite stieben auf einmal in alle Richtungen auseinander. Ach ja – das Löwenempfangskomitee! Jetzt liegt es nicht mehr unter dem Baum, sondern die Damen sind auf der Jagd nach Beute. Dieser „Empfang“ gefällt den Gnus aber gar nicht. Kaum der einen Gefahr entronnen, droht schon die nächste. Und so fliehen sie – schon wieder in Panik – und etwa zehn Tiere sind auch zurückgelaufen, stürzen sich mit einem Sprung von der Steiluferkante und laufen direkt auf die Krokodile zu. Sind die denn blind? Aber noch ehe die Kroks sich aufrappeln können, fliegen die Gnus gerade so an ihnen vorbei und verschwinden im Busch. Und dann ist wieder Ruhe am Ufer – die meisten Autos verlassen ihren Beobachtungsort, denn sie haben genug gesehen. Wir bleiben und das ist gut so. Nur eine Stunde später wiederholt sich das ganze Schauspiel noch einmal. Allerdings ist da das Leittier gescheiter – es nimmt gleich den richtigen Weg und so kommen alle Tiere schnell und sicher auf der anderen Seite an. Dann fahren auch wir zurück, langsam, die tolle Landschaft genießend und noch viele, viele Tiere beobachtend. Das Tagebuch zu schreiben, fällt mir am Abend schwer. Immer noch sitze ich in meinen Gedanken am Mara-Ufer und wieder und wieder spritzt vor mir das Wasser hoch, aufgewühlt von Tausenden von Gnus.
6. Traumtag, 26. Juli 2010:
Ausruhtag. Keine stressige Fahrt zu den Crossing-Stellen, heute ist einfach Wildbeobachtung angesagt. Langsam fahren wir durch den Park, rechts und links wunderschöne Grassavanne. Das Gras ist hoch und voller Büten-/Samenstände. Am Horizont sehe ich eine lange, lange Reihe von Gnus, die wie auf einer Schnur aufgezogen zum Mara zieht. Zum Fressen haben sie keine Zeit – der Instinkt treibt sie weiter, immer weiter. Denn der Fluss und erst Recht die Weiden auf der anderen Seite rufen. Weiter, weiter, weiter. In der Nacht hat es etwas geregnet. Nicht viel, aber genug, um die Wege oder besser gesagt, die Fahrspuren im Gras so glitschig zu machen, dass Jeremy es für ratsam hält, den 4 x 4 zuzuschalten. Gut so, wie sich schon kurze Zeit später zeigt. Ein anderes Safarifahrzeug hat sich eingegraben und kommt ohne fremde Hilfe nicht mehr raus. Aber per Funk hat der Fahrer offensichtlich einen Kollegen gerufen, der schon da ist und „erste Hilfe“ leistet. Gar nicht so weit davon entfernt liegt ein prächtiges Exemplar von Mähnenlöwe halb im Gras und halb auf der Fahrspur. Satt gefressen liegt er da und lässt sich durch nichts, aber auch gar nichts stören. Noch nicht einmal dadurch, dass wir fast direkt neben ihm parken. Noch nicht einmal als wir nach einer Weile den Motor wieder starten um weiterzufahren, lässt er sich auch nur zu einer Bewegung verleiten. Nach zehn Minuten erreichen wir unsere erste „Zebrawiese“ dieses Morgens. Zebras, Zebras, Zebras stehen da überall im hohen Gras und nur mal vereinzelt ein Gnu, ein Topi oder eine Thomson Gazelle dazwischen. Langsam fahren wir weiter und schon kommt die nächste Zebrawiese. Dieses Mal bleiben wir länger stehen, denn gerade hat sich die Sonne durch die Wolken geschoben und wie schon so oft auf dieser Tour bin ich von der Schönheit des Bildes, das sich mir bietet, verzaubert. Eine sanfte Hügelkette, voll bewachsen mit hohem, gelbem Gras, vereinzelt mal eine Schirmakazie in der Ferne, an den Ufern der Bäche sattes, grünes Buschland und einige Bäume und am Horizont relativ hohe Berge. Und mitten im hohen Gras Zebras, Zebras, Zebras – große, kleine, junge, alte, liegende, stehende, fressende und schmusende Zebras. Herz, was willst Du mehr und deswegen bleiben wir auch fast eine Stunde und saugen dieses Bild in uns hinein. Ich weiß, dass ich mal wieder ins Schwärmen geraten bin, aber hier ist es so unbeschreiblich schön, dass mir die Worte fehlen. Ehrfürchtig sitze ich da und bestaune diese Schönheit. Als Jeremy mich mahnt, dass wir weiterfahren müssen, da kann ich mich nur schweren Herzens von diesem Anblick losreißen.
Wir haben an diesem Morgen noch mehrere Zebrawiesen gesehen, aber keine war so schön wie diese. Der nächste Höhepunkt lässt nicht lange auf sich warten. Vor uns auf der Straße liegen neun Tüpfelhyänen und halten ihren „Verdauungsschlaf“. Teilweise liegen sie in den Pfützen, die sich nach dem Regen der Nacht gebildet haben, teilweise einfach so auf der Straße oder neben der Straße im Gras. Stören lassen sie sich nicht von uns. Sie schlafen einfach weiter den Schlaf des Gerechten. Auch als wir näher und näher kommen, bleiben sie liegen, gucken mal zu uns hoch und schlafen weiter. Drei der Tiere haben Funkhalsbänder – offensichtlich ist das Rudel im Rahmen einer Verhaltensforschung unter „Überwachung“. Wir stehen bestimmt schon zehn Minuten, als von hinten ein zweites Fahrzeug kommt. Dessen Fahrer hat keine Zeit und fährt einfach weiter. Für uns gut, denn jetzt kommt mal Bewegung in die Tiere. Nicht zu schnell erheben sie sich, laufen ins Gras und als dieser Ungeduldige dann vorbei ist, kommen sie wieder zurück und legen sich in ihre Pfützen.
Am Nachmittag fahren wir noch ein bisschen am Talek entlang, ganz nahe am Ufer suchen wir nach Hippos, Büffeln, Elefanten, Löwen und anderen Katzen. Aber das ist gar nicht so einfach, denn wir sind am Rand des Parks, da wo die Masai (verbotenerweise) ihre Rinder weiden lassen. Und so sehen wir zwar Hippos, Büffel und Elefanten sowie einen wunderschönen Woodland Kingfisher, aber nicht eine Katze. Denn die mögen den Gestank der Rinder nicht und haben sich verzogen. Erst als wir uns weiter von den Weidegebieten entfernt haben, treffen wir auf eine richtig große Löwenfamilie. Mindestens zwölf Tiere aller Altersklassen. Aber es ist heiß, das Gras hoch und die Löwen bewegen sich nicht. Selbst die Kleinen haben keine Lust zum Spielen und deshalb sind sie nur schwer zu sehen. Und da auch bestimmt schon sechs andere Autos da sind, machen wir uns auf den Weg zum Campingplatz zurück. Ein sehr schöner Tag – ohne ausgefallene Erlebnisse, aber ein Urlaubstag, wie man ihn sich wünscht – geht zu Ende.
7. Traumtag, 27. Juli 2010:
Ich sitze noch ganz aufgeregt – es ist jetzt 22.00 Uhr – über meinem Tagebuch. Das war heute unser letzter voller Safaritag und ich dachte ………., tja, was dachte ich denn? Ich dachte, unser letzter Safaritag würde so richtig ruhig und gemütlich verlaufen. Ich dachte, dass ich schon alles gesehen habe, was es zu sehen gibt und das bisher Erlebte nicht mehr zu übertreffen ist. Ich dachte, dass mein heutiger Tagebucheintrag kurz und knapp werden würde. Ich dachte, …………………. aber ich habe da wohl nicht ganz zu Ende gedacht. Was ich heute erlebt habe, das übertrifft jegliche Vorstellungskraft. Alles, aber auch wirklich alles, was ich mir von dieser Safari erhofft habe, wurde weit, weit übertroffen und während ich hier sitze und meine Gedanken zu Papier bringen will, schwebe ich noch immer mit meinen Gefühlen auf Wolke Sieben. Wolke Sieben, das ist die für Verliebte und Tagträumer und ich träume jetzt schon eine Woche lang – aber noch nie so intensiv. Aber ich muss von vorne beginnen.
Um 7.00 Uhr fahren wir los. Wir haben einen langen Ritt vor uns, denn wir wollen auf die gegenüberliegende Seite und das Crossing mal von dort beobachten – die Gnus von vorne und nicht immer nur von hinten sehen. Siebzig Kilometer liegen vor uns. „Nicht viel, wenn alles glatt geht“, sagt Jeremy, „dann sind wir spätestens um 10.00 Uhr am Parkplatz und können uns hoffentlich wieder einen Logenplatz aussuchen.“ Allerdings dürfen wir bei der „Qualität“ der Wege keine allzu langen Fotostopps einlegen. Kaum sind wir abgefahren, gibt es schon den ersten Halt. Ein wunderschöner, dunkelbrauner bis schwarzer Löwe hat sich vor uns im Gras platziert und bittet doch inbrünstig darum, dass wir von ihm und seinen drei Damen ein Foto machen.
Wir können nicht widerstehen – dazu noch ein paar schöne Videosequenzen, denn nach den Fotos erheben sie sich ganz langsam und „schlendern“ langsam und gemächlich in Richtung der nächsten Antilopenherde davon. Das wird bestimmt gleich ein Opfer fordern, aber wir wollen das nicht abwarten – wir haben heute Gnu-Tag. Und außerdem sind wir jetzt auch umringt von anderen Autos, die inzwischen angekommen sind und da fahren wir lieber weiter. Strahlend steht die Sonne am Himmel und die Fahrt durch die herrliche Landschaft nach Keekorock wird zum Erlebnis. Wir sehen immer wieder kleine bis mittlere Gnu- und Zebraherden, mal fünfzig, mal hundert, mal auch dreihundert Tiere. Natürlich auch alles andere „Viechzeug“, das der Park zu bieten hat. Topis, Kuhantilopen, Thomson- und Grand Gazellen, Warzenschweine, Elefanten, Strauße, Giraffen, Sekretärvögel. Und das alles in dieser so herrlichen Landschaft. In Keekorock müssen wir dann die bis dahin recht gut ausgebaute Straße verlassen und fast schlagartig ändert sich das Landschaftsbild. Links das Tal des Mara, dahinter hohe Berge, vor uns aber wieder die hügelige Landschaft der letzten Tage. Unten im Tal und den Seitentälern ist der grüne Busch viel dichter und es gibt viel mehr Bäume. Und immer wieder mal kleinere Berge, flache Bergkuppen, mal eckig, mal rund. Es erinnert mich ein wenig an Utah, nur dass hier die Berge viel grüner sind. Und natürlich immer wieder herrliche, mit hohen Gräsern bewachsene Savannenlandschaft. Ein tolles Landschaftsbild. Irgendwann, als mir das hohe Gras und die darin „versteckte“ Zebraherde besonders gut gefallen, bitte ich Jeremy zu halten. Dieses Bild muss ich einfach festhalten. Und als ich meine Begeisterung darüber zum Ausdruck bringe, fragt mich Jeremy: „Wie, Du fotografierst die Zebras? Hier sind Tausende von Gnus. Hast Du die denn nicht gesehen?“ Als ich mich dann umdrehe, kann ich es gar nicht fassen – Gnus, soweit man sehenkann. Überall auf den Hängen stehen sie – vor mir, neben mir, nah, fern, ferner und noch weiterentfernt – nur noch als schwarze Punkte erkennbar. Und von da an fahren wir weit über eineStunde durch riesige Gnuherden. Gnus, Gnus, überall Gnus. Gnus rechts, links, vorne, hinten, auf den Wiesen und auf der Straße stehen, liegen oder laufen sie. Platz machen sie erst, wennwir ganz, ganz nah herankommen. Natürlich sehen wir nicht nur Gnus, auch viele Zebras, dazu noch Topis, Kuhantilopen und einmal ein richtig großes Elandrudel. Aber das Bild wird beherrscht von den Gnus – zwischen den Büschen und unter den Bäumen, in der Sonne auf der riesigen Savanne und im Schatten, auf den Hängen und den Tälern Gnus, Gnus, Gnus. Am Ende des Tages schätzt Jeremy, dass wir mindestens dreihundert- bis vierhunderttausend Tiere gesehen haben. Er meint sogar eher mehr. Aber das ist mir auch egal, denn so weit kann ich sowieso nicht zählen. Immer wieder entrinnen mir Ausrufe des Staunens und der Begeisterung, denn das habe ich wirklich nicht erwartet. Das hätte ich mir auch so nie vorstellen können. Wir überqueren die Mara Brücke – ab hier nennt sich das Gebiet nicht mehr Park, sondern Conservancy. Verwaltet wird es durch einen Engländer und was mir sofort auffällt: Die Wege sind besser – keine Muckel, keine Schlaglöcher, fast kein Wellblech – und es gibt keine Fahrspuren mehr in den Grasflächen. Offroad-Fahren ist strengstens untersagt. Und immer noch sind neben, vor, hinter uns Tausende von Gnus. Gnus, wo ich hinsehe.
Allmählich erreichen wir das Mara-Ufer. Was ist das? Mindestens zwanzig Autos sind schon auf dem Parkplatz vor uns und gegenüber auch jede Menge. Ist nichts mit Logenplatz. Rang, aber Gott sei Dank erste Reihe und keiner vor uns. Und Geier gibt es heute hier, Geier, so viel, wie ich noch nie gesehen habe. Und gegenüber warten schon die Gnus. Eine ziemlich große Herde, die da noch unentschlossen steht und gerne rüber möchte. Aber es sind so viele Krokodile da und wie schon in den letzten Tagen sagt jedes Tier zu dem anderen: „Willst Du nicht vorangehen?“ Aber die schütteln dann mit dem Kopf, denn keines will als Erstes die Aufmerksamkeit der Krokodile auf sich ziehen. Also stehen sie da, unruhig oder auch ungeduldig wartend. Dann beginnt das bekannte Spiel – eins geht ran ans Wasser, säuft, erschrickt, rennt weg und alle hinterher. Das machen sie einmal, zweimal, dreimal. Aber wie schon am ersten Tag – heute gibt es kein Crossing, denn nach dem dritten Versuch ziehen sie links hoch in den Busch in Richtung der anderen Überquerungsmöglichkeit. Wir beraten uns kurz und beschließen, sofort dorthin zu fahren und nicht wie fast alle anderen Fahrzeuge zu warten. Und das ist gut so, denn jetzt bekommen wir wieder unseren Logenplatz. Aber zunächst einmal staunen wir. Wo vorgestern noch Hunderte von Geiern und Marabus saßen, sitzen jetzt ein paar Ibisse, wo vorgestern noch Krokodile lagen, sind jetzt die Hippos. Jetzt verstehe ich auch die Massierung der vielen Geier an dem anderen Punkt. Denen war es hier zu langweilig.
Denn kein Gnu, kein Zebra weit und breit. Deswegen auch der Andrang vorhin. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es so bleiben wird und so beschließen wir, hier und nirgendwo anders zu warten. Nach einer Stunde Warten hat sich noch nichts getan. Lediglich ein paar Störche haben sich zu den Ibissen gesellt, aber das ist es. Langsam beginne ich unruhig zu werden, aber dann tut sich etwas. Was heißt es tut sich etwas? Am Himmel entdecke ich erst einen, dann fünf, dann vielleicht fünfzig Geier, die von der anderen Stelle zu uns rüber fliegen. Und dann sagt Jeremy auch schon – ich höre etwas. Richtig, hinter den Büschen höre ich auch die ersten Gnugeräusche. Und dann kommen gegenüber auf einmal die Beobachtungsautos an. Fünf, sechs, sieben Stück zähle ich. Da muss ja jetzt etwas abgehen. Tut es auch. Nur fünf Minuten später sehen wir die ersten Gnus und es werden mehr und immer mehr. Schnell mache ich meine Videokamera bereit und da geht es auch schon los. Völlig überraschend für mich, ohne zu saufen und zu zögern, gehen die ersten ins Wasser und gleich den richtigen Weg und ruck zuck, sind sie auf unserer Seite. Und alle, alle anderen folgen ihnen. Fünfzehn Minuten lang schäumt das Wasser von den donnernden Hufen der Tiere, fünfzehn Minuten lang spritzt und platscht es und dann ist wieder Ruhe. Alle sind wohl behalten angekommen. Und heute sind keine Löwen da, die sie erwarten. Glück gehabt. Wir machen für heute Schluss. Fahren in die Mara Serena Lodge und genießen noch einen späten Lunch. Dann fahren wir wieder zurück. Aber nicht den Weg von heute Morgen, sondern am Fluss entlang auf Wegen, die diesen Namen überhaupt nicht verdient haben. Aber es ist eine wunderschöne Fahrt durch die „Pampa“, kein Auto begegnet uns bis kurz vor dem Parkausgang. Dafür erleben wir noch einen schönen Abschluss dieses Tages. An einem Tümpel sitzt ein Cheetah und trinkt. Er trinkt und trinkt und trinkt und lässt sich von uns überhaupt nicht stören. Erst als der Durst gelöscht ist, schaut er zu uns hoch. Er erschrickt aber nicht, sondern erhebt sich langsam und schreitet majestätisch davon.
10. Traumtag, 30. Juli 2010:
12.30 Uhr. Pünktlich setzt meine Maschine von Johannesburg in Walvis Bay auf. Gerlinde wartet auf mich. Stürmische Umarmung und dann fahren wir nach Hause. Als wir dort ankommen, hängt ein Schild an unserer Wohnungstür:
Bitte nicht stören. Nicht klingeln oder klopfen und bitte auch nicht anrufen. Gerd schläft noch und träumt gerade seinen Traum von der Masai Mara.
Träume ich wirklich noch oder war das alles jetzt wahr? Ich glaube, ich träume noch, denn das alles werde ich doch erst mit Dir, liebe Gerlinde, in 2012 erleben. Und dann nicht im Zelt, sondern in der Lodge. Ich freu mich drauf.
Gerd